Die Frage, „lohnt sich Riester-Rente noch“, ist zu einem zentralen Diskussionspunkt in der deutschen Altersvorsorgelandschaft geworden. Einst als tragende Säule der privaten Vorsorge konzipiert, um die sinkenden Leistungen der gesetzlichen Rente auszugleichen, steht das Modell heute massiv in der Kritik. Experten, darunter die Stiftung Warentest, kommen zu einem klaren Urteil: Ein Riester-Vertrag ist kein universell empfehlenswertes Produkt mehr, sondern hat sich zu einer hochspezialisierten Nischenlösung entwickelt. Sein Wert wird fast ausschließlich durch die individuelle „Förderquote“ bestimmt – das Verhältnis der staatlichen Zuschüsse zum eigenen finanziellen Beitrag.
Dieser Bericht analysiert den fundamentalen Konflikt, der dem Riester-Modell innewohnt: Auf der einen Seite steht der Lockruf substanzieller staatlicher Zulagen und Steuervorteile, die insbesondere für bestimmte Personengruppen attraktiv erscheinen. Auf der anderen Seite steht ein System, das von hohen Kosten, geringen Renditen und einer lähmenden Unflexibilität geprägt ist. Diese Faktoren haben dazu geführt, dass Millionen von Verträgen ruhend gestellt wurden und die Realrendite für viele Sparer nach Abzug von Inflation und Gebühren negativ ausfällt.

Das Riester-Modell: Förderung und die verborgenen Kosten
Die Anatomie der Förderung: Zulagen & Steuervorteile
Das Herzstück der Riester-Förderung ist ein zweigleisiges System aus direkten Zulagen und steuerlichen Vergünstigungen.
Die direkten staatlichen Zulagen umfassen:
- Grundzulage: 175 Euro jährlich.
- Kinderzulage: 185 Euro (vor 2008 geb.) oder 300 Euro (ab 2008 geb.) pro Kind.
- Berufseinsteigerbonus: Einmalig 200 Euro für alle unter 25. Verlinkt zu die beste Altersvorsorge für junge Menschen.
Zusätzlich können Beiträge bis 2.100 Euro pro Jahr als Sonderausgaben abgesetzt werden. Das Finanzamt prüft (Günstigerprüfung), ob der Steuervorteil höher ist als die Zulagen.
Die Kostenfalle: Eine datengestützte Analyse
Einer der Hauptkritikpunkte ist die oft überhöhte Kostenstruktur. Eine Analyse der Bürgerbewegung Finanzwende kam zu dem Ergebnis, dass bei einem durchschnittlichen Vertrag fast jeder vierte eingezahlte Euro für Kosten verloren geht.
Die Beitragsgarantie: Sicherheit auf Kosten der Rendite
Gesetzlich ist eine 100-prozentige Beitragsgarantie gesichert. Was als Sicherheitsnetz konzipiert wurde, erweist sich in der Praxis als Renditebremse, da Anbieter gezwungen sind, einen Großteil des Kapitals in sehr sichere, aber ertragsschwache Anlagen zu investieren.
Für wen lohnt sich riester-rente wirklich?
Geringverdiener & kinderreiche Familien
Für Geringverdiener und Familien mit mehreren Kindern kann die Riester-Rente nach wie vor eine äußerst lohnende Option sein. Der Grund liegt in der bereits erwähnten extrem hohen Förderquote. Die staatlichen Zulagen machen hier den Löwenanteil der jährlichen Sparleistung aus, während der eigene Beitrag minimal ist.
In diesem Fall mobilisiert ein eigener jährlicher Aufwand von 60 Euro staatliche Förderungen in Höhe von 775 Euro (eine Grundzulage plus zwei Kinderzulagen) oder mehr. Dies entspricht einer Rendite auf den Eigenbeitrag von über 1.200 %, bevor überhaupt Markterträge oder Kosten berücksichtigt werden. Für diese Zielgruppe ist die Riester-Rente weniger ein Finanzinvestment als vielmehr ein staatliches Sparförderprogramm.
Gutverdiener & die meisten Kinderlosen
Für Besserverdiener und Kinderlose stellt sich die Situation gegenteilig dar. Hier machen die direkten Zulagen nur einen kleinen Teil des Eigenbeitrags aus. Der Hauptvorteil müsste aus dem Steuervorteil durch die Günstigerprüfung resultieren. Doch genau dieser Vorteil wird durch die hohen Kosten und die niedrige Rendite über die lange Laufzeit oft wieder zunichtegemacht.
Der entscheidende Faktor ist hier der Opportunitätskostennachteil. Das in einem renditeschwachen Riester-Vertrag gebundene Kapital hätte über Jahrzehnte in einem kostengünstigen ETF-Sparplan eine deutlich höhere Rendite erzielen können. Für diese Gruppe ist die Sicherheit der Beitragsgarantie mit einem unvertretbar hohen Preis in Form von entgangenem Wachstumspotenzial erkauft.
Instrument gegen Altersarmut von Frauen
Frauen sind aufgrund von unterbrochenen Erwerbsbiografien, häufigerer Teilzeitarbeit und dem Gender-Pay-Gap überproportional von Altersarmut betroffen. Gerade hier bietet das Riester-System einen oft übersehenen, aber entscheidenden Vorteil.
Die Förderberechtigung ist an die Pflichtversicherung in der gesetzlichen Rentenversicherung geknüpft. Dies schließt jedoch explizit auch Zeiten des Bezugs von Arbeitslosengeld und, besonders wichtig, die ersten drei Jahre der Kindererziehungszeit mit ein. Eine Mutter oder ein Vater in Elternzeit kann mit der Zahlung des Sockelbeitrags von 60 Euro pro Jahr die volle Grund- und Kinderzulage erhalten. Dies ermöglicht den Aufbau einer privaten Altersvorsorge auch bei einem Erwerbseinkommen von null und wirkt so einem der Haupttreiber der geschlechtsspezifischen Rentenlücke direkt entgegen.
Riester im Lebenszyklus – Von der Auszahlung bis zur Kündigung
Die Auszahlungsphase: Lebenslange Rente & Besteuerung
Die Auszahlung des angesparten Kapitals unterliegt strengen Regeln. Sie erfolgt in der Regel als lebenslange monatliche Rente. Zu Rentenbeginn können Sparer sich bis zu 30 % des Kapitals als Einmalbetrag auszahlen lassen. Die gesamten Auszahlungen – sowohl die Rente als auch ein eventueller Einmalbetrag – unterliegen der nachgelagerten Besteuerung, das heißt, sie müssen mit dem persönlichen Einkommensteuersatz im Alter voll versteuert werden.
Die Höhe der ausgezahlten Renten ist in der Praxis oft enttäuschend gering. Daten des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP) aus dem Jahr 2020 zeigten eine durchschnittliche monatliche Brutto-Riester-Rente von nur 83 Euro (Männer: 100 Euro, Frauen: 55 Euro). Aktuellere Zahlen bestätigen, dass fast drei Viertel der Empfänger weniger als 100 Euro pro Monat erhalten.
Riester und die Grundsicherung: Der entscheidende Vorteil
Für Sparer mit sehr geringem Einkommen, die im Alter voraussichtlich auf Grundsicherung angewiesen sein werden, stellt die Anrechnungsregel den wohl stärksten Vorteil der Riester-Rente dar. Seit einer Gesetzesänderung im Jahr 2018 werden Riester-Renten nicht mehr vollständig auf die Grundsicherung im Alter angerechnet.
Die Berechnung des anrechnungsfreien Betrags ist in § 82 Abs. 4 SGB XII geregelt: Ein Sockelbetrag von 100 Euro monatlich ist vollständig anrechnungsfrei. Von dem Betrag, der 100 Euro übersteigt, sind zusätzlich 30 % anrechnungsfrei. Der gesamte Freibetrag ist auf 50 % der Regelbedarfsstufe 1 gedeckelt.
Monatliche Riester-Rente | Gesamtfreibetrag | Anrechenbarer Betrag |
---|---|---|
50,00 € | 50,00 € | 0,00 € |
120,00 € | 106,00 € | 14,00 € |
200,00 € | 130,00 € | 70,00 € |
Die Kündigungsfalle: „Schädliche Verwendung“
Die vorzeitige Kündigung eines Riester-Vertrags oder eine nicht gesetzeskonforme Kapitalentnahme wird als „schädliche Verwendung“ bezeichnet und hat gravierende finanzielle Konsequenzen: Sie müssen alle erhaltenen Zulagen und Steuervorteile vollständig zurückzahlen. Der ausgezahlte Rückkaufswert liegt aufgrund der Verrechnung dieser Posten und der hohen Anfangskosten oft deutlich unter der Summe der eingezahlten Beiträge. Eine deutlich bessere Alternative ist die Beitragsfreistellung (das Ruhenlassen des Vertrags).
Die Alternativen auf dem Prüfstand
Der flexible Herausforderer: Der ETF-Sparplan
Ein ETF-Sparplan hat sich als Standard für den selbstgesteuerten, langfristigen Vermögensaufbau etabliert. Seine Kernvorteile sind extrem niedrige Kosten, maximale Flexibilität und ein überlegenes langfristiges Renditepotenzial. Anleger können jederzeit über ihr Kapital verfügen. Der Hauptnachteil ist das Fehlen jeglicher Garantien. Für Anleger, die gezielt nachhaltig investieren wollen, ist das Verständnis der verschiedenen Index-Methoden entscheidend.
Die betriebliche Altersvorsorge (bAV): Wenn der Arbeitgeber mitspart
Der entscheidende Vorteil der bAV ist der Arbeitgeberzuschuss von mindestens 15%. Viele Arbeitgeber leisten freiwillig höhere Zuschüsse. Dem stehen Nachteile gegenüber: Die Beiträge reduzieren die Ansprüche aus der gesetzlichen Rente, und die späteren Rentenzahlungen unterliegen den vollen Beiträgen zur Kranken- und Pflegeversicherung.
Tabelle: Systemvergleich – Riester vs. ETF vs. bAV
Kriterium | Riester-Rente | ETF-Sparplan | Betriebliche Altersvorsorge (bAV) |
---|---|---|---|
Staatl. Unterstützung | Zulagen & Steuervorteile | Keine direkte Förderung | Steuerfreiheit & AG-Zuschuss |
Kosten | Hoch | Sehr niedrig | Moderat bis hoch |
Renditepotenzial | Niedrig | Hoch | Moderat |
Flexibilität | Sehr gering | Sehr hoch | Gering |
Besteuerung (Auszahlung) | Nachgelagert (voll) | Abgeltungsteuer auf Erträge | Nachgelagert (voll) |
Handlungsempfehlungen
Die Riester-Rente ist ein Produkt mit zwei Gesichtern. Für eine kleine, klar definierte Zielgruppe – Geringverdiener und Familien mit mehreren Kindern – kann sie aufgrund der extremen Hebelwirkung der Zulagen ein mächtiges Instrument sein. Für die breite Mehrheit der Sparer erweist sie sich jedoch als finanziell ineffizient. Hier sind flexiblere und kostengünstigere Alternativen wie ein ETF-Sparplan meist die überlegene Wahl.
- Berechnen Sie Ihre persönliche Förderquote: Ist der Anteil der Zulagen an der Gesamtsparleistung überwältigend hoch, ist Riester eine ernsthafte Option.
- Prüfen Sie Ihren Bedarf an Flexibilität: Benötigen Sie vor dem Rentenalter Zugriff auf Ihr Kapital? Dann ist Riester ungeeignet.
- Informieren Sie sich über Ihre bAV: Klären Sie, welche Zuschüsse Ihr Arbeitgeber zur betrieblichen Altersvorsorge leistet. Ein hoher Zuschuss kann die bAV sehr attraktiv machen.
Ausblick auf die Riester-Reform: Die Bundesregierung plant eine grundlegende Reform der privaten Altersvorsorge. Kernpunkte sind die Einführung eines staatlich organisierten Standardprodukts, die Lockerung der Beitragsgarantie und eine Vereinfachung der Förderung. Sparer sollten ihre heutigen Entscheidungen auf Basis des aktuellen Systems treffen, aber die zukünftigen Entwicklungen im Auge behalten.
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